Sonntag, 17. März 2013

Welcome the Street feelingful!

Yinko ist ein kleines Städtchen in Taiwan, das vor allem durch das dort hergestellte Porzellan zu lokaler Berühmtheit gelangt ist und sich zu einem beliebten Ausflugsziel entwickelt hat. Von ihren Besuchern verabschiedet sich die Stadt mit einem großen Schild an der Ausfahrt des Parkplatzes, auf dem auf chinesisch für den Besuch gedankt und eine gute Heimreise gewünscht wird. Im Zeitalter der Globalisierung hat man dies zuvorkommend mit “Welcome the Street feelingful!” auch gleich ins Englische übersetzt. Ganz klar: Jeder soll wissen, dass man auch in Yinko der globalen Welt offen und freundlich gegenübersteht. Schön, dass unvollkommene Fremdsprachenkenntnisse dabei nicht bremsen, sonder im Gegenteil zusätzliche Dimensionen  unfreiwilliger Poesie eröffnen.

Samstag, 9. März 2013

Verheiratet mit einer Buddhistin


Ich habe keine Angst vor Spinnen, aber ich mag sie auch nicht besonders. Wenn ich früher eine im Haus entdeckt habe, habe ich sie deshalb meistens  kurz und schmerzlos mit dem Hausschuh erschlagen und dann mit einem Kleenex entsorgt.  Seit ich mit einer Buddhistin zusammen lebe, die sich vor dem krabbelnden Teil der Schöpfung fürchtet, ist das nicht mehr so einfach. Um nicht unnötig zu töten, habe ich ein altes Marmeladenglas und einen Pinsel aus dem Wasserfarbenkasten meiner Tochter bekommen. Damit muss ich Ungeziefer sanft aus Schlupflöchern extrahieren und vorsichtig im Garten entsorgen. Etwas umständlich, aber letztendlich ein erhebendes Gefühl,  wenn man sich als Lebensretter sehen kann, auch wenn ich mich gerade im Winter manchmal frage, wie lange man als Spinne bei minus 8 Grad auf der Terrasse überleben kann und will. 

Aber für die großen weltanschaulichen Fragen im Leben ist bei uns der Bikku zuständig, mir geht es mehr darum, meine Frau glücklich zu machen, auch wenn ich mich dabei oft in der Rolle eines nur mäßig überzeugten aber dafür voll solidarischen Unterstützers wiederfinde. So habe ich mich daran gewöhnt, dass unsere Sonntagsspaziergänge kurz unterbrochen werden, weil am Wegesrand tote Tauben, Frösche oder andere Kleintiere liegen, deren Weg in den Reinkarnationskreislauf durch ein Gebet meiner Frau und einen pietätvollen Gesichtsausdruck von mir begleitet werden muss.  Neulich habe ich mich sogar dabei ertappt, einer Katze, die dem morgendlichen Berufsverkehr auf der A8 zum Opfer gefallen ist, mit einem inbrünstigen „Omitofo“ meine Referenz zu erweisen, obwohl meine Frau gar nicht mit im Auto saß.

Bei manchen buddhistischen Konzepten hat sich mir der praktische Nutzen dagegen ungleich schneller erschlossen, auch wenn ich die gesamte Tragweite nicht wirklich erfasst habe. So habe ich das „Loslassen“ als sehr machtvolles Instrument erkannt, wenn man beispielsweise mit mit dem Abwasch konfrontiert ist: Zwar wäscht sich das Geschirr auch durch Loslassen bedauerlicherweise nicht von alleine, aber ich kann  vorher noch entspannt die Sportschau genießen oder zumindest meine Entschuldigungsrhetorik etwas geschmeidiger gestalten.

Aber auch einige tiefere Wahrheiten des Buddhismus haben mich nicht ganz unberührt gelassen. Der Lebensplan eines Buddha Schülers kommt auch mir bekannt vor: Erst fleißig lernen, um einen guten Job zu bekommen. Dann hart arbeiten, um eine Familie zu gründen und Kinder großzuziehen. Als krönender Abschluss und ultimatives Lebensziel schließlich die Perspektive, nach erfolgreicher Pflichterfüllung nicht mehr hart arbeiten zu müssen und sich um sich selbst zu kümmern. Die Gegenfrage Budhhas, warum der Schüler denn damit nicht sofort anfange, ist ebenso einfach wahr wie schwer zu beantworten.

Ähnlich sehen dies im übrigen die meisten meiner Bürokollegen, bei denen ich durch Geschichten wie diese im Ruf einer Weisheit stehe, der mir zwar schmeichelt, aber meiner tatsächlichen spirituellen Reife in keinster Weise entspricht. Denn auch wenn ich mich einer plötzlichen Erleuchtung vermutlich nicht entziehen könnte,  so ist mein eigentlicher Herzenswunsch in diesem Leben doch eher weltlich: Ich möchte einfach ein guter Ehemann sein. Ich bin sicher, daran hätte auch Buddha selbst wenig auszusetzen, sofern er sich denn wirklich im Detail für das weltliche Geschehen im Großraum München interessiert.

Sonntag, 7. Februar 2010

Volunteering bei der indischen Mikrofinanzkooperative Mann Deshi Bank

Intensiv und vielfältig wie die farbenfrohen Saris der Frauen auf den Feldern von Mhaswad sind die Eindrücke meines Einsatzes als Volunteer bei der indischen Mann Deshi Bank, einer ländlichen Mikrofinanzkooperative von Frauen für Frauen. Aber immer wieder treffe ich auf ein Gefühl des Stolzes, der wie ein Leitmotiv in verschiedenen Facetten auftritt. Sehr unmittelbar erschließt sich dieser Stolz bei Kundinnen der Mann Deshi Bank wie Vanita Pise, die mit Unterstützung der Kooperative ein Kleinunternehmen zur Herstellung von Einwegpapiertellern aufgebaut hat. Als Vanita selbstbewusst ihre Erfolgsgeschichte erzählt wird schnell deutlich, dass es hier nicht nur um Armutsbekämpfung geht, sondern auch um Befreiung von familiärer Unterdrückung und Wiedergewinnung der Menschenwürde. Aber auch der Stolz der Mann Deshi Mitarbeiter ist deutlich spürbar, als die Gründerin der Mann Deshi Bank, Chetna Gala-Sinha, eines abends auf der Terrasse ihrer Farm sehr humorvoll über den Aufbau der Bank und das oft unkonventionelle Umgehen mit den Widerständen bei Behörden, Ehemännern und der übrigen männlichen Landbevölkerung berichtet. Und schließlich bin ich am Ende meiner vier Wochen in Indien auch selber stolz darauf, einen kleinen Beitrag für eine gute und sinnvolle Sache leisten zu können. Auch bei der Deutschen Bank geht es nicht immer nur um Kunden, Mehrwert und Shareholder Value. Die Bank steht auch zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und engagiert sich im sozialen und kulturellen Bereich nicht nur finanziell, sondern auch mit ihrem wertvollsten Asset: Der Leistung und der Leidenschaft ihrer Mitarbeiter. Vor diesem Hintergrund hatte ich Ende 2008 Gelegenheit, in einem vierwöchigen Beratungsprojekt bei einer Mikrofinanzbank in Indien mitzuarbeiten. Von den Erfahrungen, die ich in dieser Zeit sammeln konnte, und von dem guten Gefühl, zu einem sinnvollen Projekt beigetragen zu haben, zehre ich noch heute. Als Mitarbeiter gibt es viele Gründe, stolz auf die Deutsche Bank zu sein. Dies ist meiner. Es ist ein langer Weg vom Münchner Promenadeplatz nach Mhaswad: Vom Flughafen in Mumbai geht es mit einem klapprigen Toyota auf immer enger werdenden Strassen an Slums vorbei in öde Graslandschaften und über Bergpässe, bis man nach 8 Stunden und einer letzten Abkürzung durch ein ausgetrocknetes Flussbett das lokale Zentrum der Mann Desh Hochebene erreicht hat. Mhaswad liegt gefühlsmässig genau in der Mitte von Nirgendwo und hat an normalen Tagen den Charakter eines kleinen Dorfes, an dem die letzten 100 Jahre weitgehend spurlos vorbeigegangen sind: Es dauert 20 Minuten, um den Ort einmal zu Fuss zu durchqueren und ungefähr halb so lange, bis alle 20,000 Einwohner von der Ankunft eines Ausländers erfahren haben. An Markttagen ändert Mhaswad sein Gesicht dramatisch und verwandelt sich in ein hektisches Gewusel von Mensch und Tier, in dem lokale Hochdruckverkäufer unter Einsatz modernster Unterhaltungselektronik bis tief in die Nacht eine beindruckende Geräuschkulisse aufrechterhalten: “Rrrrrrrrrrcomecomecomeyayayayarrrrr…!!!” Das Leben in Mhaswad hat oft etwas mittelalterliches: Durch die allgemeine Armut führen individuelle Rückschläge oder Krankheit sehr schnell zur Existenzgefährdung der ganzen Familie. Dies gefährdet unmittelbar die Ausbildung der Kinder und damit die einzig realistische Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Oft verschärft existentielle Not in der traditionell geprägten Gesellschaft gerade die Lebenssituation der Frauen und führt zu teilweise tragischen Schicksalen. Umso beeindruckender ist vor diesem Hintergrund die Energie und der Wille gerade der Frauen, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen und durch harte Arbeit das Schicksal der Familie zu verbessern. Neben vergleichsweise naheliegenden Ideen wie Gemüsehandel oder Handwerk stösst man hier wie zum Beispiel bei Vanita Pise auf höchst beeindruckenden Unternehmergeist: Mit einfachsten Maschinen werden zunächst Pappteller aus Altpapier produziert. Später steigert man die Wertschöpfung durch eine wärmeisolierende Aluminiumschicht und durch Applikation von Bildern bekannter Bollywoodschönheiten. Dann erhöht man die Fertigungstiefe durch Anschaffung einer einfachen Maschine, mit der man die Papierbögen selber zuschneiden kann. Zuletzt diversifiziert man mit einigen Ziegen in die Milchgewinnung und erschliesst hier ein neues Geschäftsfeld. Diese Erfolgsgeschichte, die zwischenzeitlich die Existenz des erweiterten Familienkreises sichert, könnte auch als einfaches Fallbeispiel für eine Business School dienen. Kleinstkredite für Kunden an der Armutsgrenze? Für einen ausgebildeten Banker sowohl kreditmateriell als auch unter Ertragsgesichts-punkten ein Unding! Wie schafft es dann die Mann Deshi Bank, ein zumindest moderat profitables Geschäft mit sehr überschaubaren Kreditausfällen zu entwickeln? Zuallererst beeindruckt die glasklare Fokussierung auf die Zielkundengruppe: Frauen im ländlichen Indien. Produkte wie z.B. Bargeldentsorgung, Investitionsdarlehen, goldbesicherte Überbrückungskredite und Pensionspläne sind genauso auf diese Zielkunden zugeschnitten wie der Service, der neben täglichen Kundenbesuchen auch Ausbildung z.B. in Form von „Financial Literacy“-Kursen umfasst. Die Kreditqualität wird durch zwei Faktoren sichergestellt: Zum einen muss vor Ausreichung eines Kredits eine Zeitlang ein Sparkonto geführt werden. Die Ansparleistung dient dabei gleichzeitig als Nachweis der Kapitaldienstfähigkeit und als Kreditsicherheit. Zum anderen setzt man auf den sozialen Druck in einer transparenten Gemeinschaft, die von den familienorientierten und damit nicht mobilen Frauen auch nicht ohne weiteres verlassen werden kann. Es war ein sehr gemischtes Deutsche Bank Team, das sich in Indien zum ersten Mal getroffen hat: Die Projektmanagerin Susan Tam aus Global Technology and Operations in der Filiale New York, der Produktmanager Christian Hausherr aus Global Cash Management in der Zentrale Frankfurt, und der Relationship Manager Kai Hofmann aus Global Banking German Midcaps in der Filiale München. Entsprechend breit waren die Themen, bei denen wir unsere Expertise einbringen konnten: Im Zusammenhang mit der geplanten Expansion von Mann Deshi wurde ein fehlbedienungsgeschütztes Financial Model für eine integrierte Mehrjahresplanung erstellt, die unter anderem die Refinanzierungserfordernisse unter unterschiedlichen Wachstumsszenarien berücksichtigt. Zur Anpassung der personellen Resourcen an das Unternehmenswachstum wurde für die „Field Agent“ Kundenbetreuer ein Arbeitsplatzprofil entwickelt, das über ein incentiviertes Mentorensystem auch den Ausbildungserfordernissen Rechnung trägt. In Zusammenarbeit mit lokalen Systemprovidern wurde die Automatisierung des Management-Informationssystems entscheidend erhöht und die Einführung einer Smartcard pilotiert. Bei allen Projekten stand der praktische Nutzen für Mann Deshi im Vordergrund. Die dafür erforderlichen Gespräche mit Kunden, Field Agents, Filialmitarbeitern und Management gehörten zu den beeindruckendsten Erfahrungen unseres Aufenthalts in Indien. Bei aller Zufriedenheit mit den Ergebnissen unserer Arbeit, letztendlich haben wir von Mann Deshi mehr gelernt und mit nach Hause genommen als wir an Beratungsleistung gebracht haben:

Unternehmergeist und „Yes we can“ Mentalität zeigt sich gerade in scheinbar aussichtslosen Situationen: Wenn es einer Gruppe analphabetischer Frauen aus der tiefsten Provinz gelingt, sich Zutritt bei der Reserve Bank of India zu verschaffen und sich dort eine Banklizenz zu erkämpfen, dann sollten auch viele hoffnungslose Probleme in unserem Umfeld durchaus lösbar sein. Es gibt oft mehr als eine Lösung und „Geht nicht gibt’s nicht“: Wenn man auch ohne eine klassische Analyse erfolgreiches Kreditgeschäft machen kann, dann lohnt es sich vielleicht auch in anderen Konstellationen, „out of the box“ zu denken. Materieller Profit ist nicht alles: Auch wenn eine wirtschaftlich nachhaltige Tragfähigkeit Grundvoraussetzung für die Entwicklung des eigenen Geschäfts ist, so resultiert der Stolz und die Motivation der Mann Deshi Kunden und Mitarbeiter zuallererst aus der Gewissheit, zur Entwicklung der Familie und des eigenen Umfelds beigetragen zu haben. Daneben bleibt die oft gewonnene und noch öfter vergessene Erkenntniss, dass es von Zeit zu Zeit gut tut, eingetretene Pfade zu verlassen, anderen Menschen wirklich zuzuhören, und offen für die Überprüfung der eigenen Überzeugungen zu sein.